Sachsens Staatskapelle, Daniele Gatti, Sol Gabetta: Ein Treffen von Spitzenmusikern, aber die Cellistin überragte den Abend in Dortmund.
Die angespannten Gesichtszüge sind ihr Markenzeichen. Doch hat das weniger mit Ingrimm zu tun, alles aber mit Konzentration, Kraft des Ausdrucks. Sol Gabetta pflegt stets die Tiefe der Empfindung, zelebriert den narrativen Gehalt des Melodischen. Lange war die Cellistin, einst in der Reihe „Junge Wilde“ zu hören, nicht im Konzerthaus zu erleben. Jetzt kehrte sie zurück – als Große ihres Fachs.
Es ist Gabettas lustvolle Musikalität, die beeindruckt, gepaart mit technisch-virtuoser Brillanz. Sie spielt Camille Saint-Saëns’ erstes Cellokonzert, lässt ihr Instrument glühen oder Legato-Passagen in rundem, sahnigem Ton aufblühen. Den wilden Figurationen zu Beginn ist eine gewisse Dramatik zu eigen, doch überwiegen die traumverlorenen Linien, besticht die sanfte Anmut des barock-tänzerisch schwebenden Allegrettos.
Dabei ist Gabettas Celloklang wunderbar eingebettet in die edle Aura der Staatskapelle Dresden. Daniele Gatti (nach MeeToo-Vorwürfen 2018 als Chef in Amsterdam gekippt) steht am Pult, lässt die Musik atmen, kann aber auch ins zugkräftige Tempo wechseln. Nicht alle Übergänge gelingen ihm dabei rhythmisch sauber. Ein Manko, das dem Dirigenten in Mahlers 5. Sinfonie zum Verhängnis wird. Denn in dieser Monstre-Musik mit ihrem wuchtigen, nach Selbstkasteiung klingenden Trauermarsch, mit dem Weltenwüten der Mittelsätze, mit allen falschen, rasch in sich zusammenfallenden Durchbrüchen, herrscht zumeist überbordende Polyphonie.
Und Gatti mag die Staatskapelle mutig und zielsicher ins Labyrinth der motivischen Verflechtungen hineinführen, doch der Weg hinaus wirkt, bedingt durch teils willkürliche Tempowechsel, oft wie ein heilloses „Rette sich, wer kann“.
Trotz allem punktet das Orchester mit seiner Klangkultur, mit wirkmächtigen Schichtungen des Blechs oder der Liebe zu oft ungehörten Details. Unterm Strich aber ist’s zu wenig. Gatti kämpft, doch nur Gabetta gewinnt.
- Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 19.09.2019